Logbuch

SANFTMUT.

Man kann sich gar nicht vorstellen, dass es in der POLITIK Zeiten gegeben hat, in denen sich Herrscher das Attribut des Sanftmütigen verliehen haben. Ist aber so. Wir müssen ausholen.

Der deutsche Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing hat sich im 18. Jahrhundert der brisanten Frage verschrieben, was die Christen von Juden unterscheide und diese von den Moslems. Aktueller geht es nicht. Es lag ihm an der Gleichwertigkeit der drei Weltreligionen, eine humanistische Geste; ob man vernünftigerweise annehmen darf, dass alle drei ein und denselben Gott verehren, ist eine Frage, die ich mir nicht stellen will. Interessant ist, dass Lessing in diesem Zusammenhang den drei Religionen ATTRIBUTE zuschreibt.

Der Kern des Islam, meint Lessing, sei Gottesfurcht. Dem Judentum ordnet er Wohltätigkeit zu. Zentraler Wert des Christentums sei die Sanftmut. Für alle drei Zuschreibungen gibt es endlose Gegenbeispiele. Alle Verdichtungen solchen Ausmaßes sind, selbst wenn plausibel, falsch zugleich. Aber daran will ich gar nicht beckmessern. Bleiben wir bei der christlichen Vorgabe der Sanftmut.

Für einen Satiriker ist das ja ein echtes Problem; er lebt davon, Böses sagen zu wollen. Seine Rechtfertigung liegt darin, dass es Böses über Böse sei, aber das ändert ja nichts daran, dass er einen Handel mit Zorn betreibt. Die Vorgabe, nett zueinander zu sein, ist ein abgeschmacktes Motto einer Illustrierten aus den sechziger Jahren. Nett sind nur die Doofen, lehrt der Alltag.

Wenn ein solcher Wert der Nächstenliebe wie die Sanftheit einen höheren Sinn hat, so doch nur, wo sie nicht leicht fällt. Und wo das Sanfte nicht schlicht die Folge von Schwäche ist. Wenn das Schaf sich sanft zum Wolf verhält, ist ethisch nichts bewiesen. Der umgekehrte Fall interessiert hier. Das ist, wenn Macht sich mit Demut und Güte verbindet.

Ist es ein Zufall, dass das englische Vorbild eines guten Menschen, genau dieses Attribut des „gentle“ (sanft) verwendet? Das Sanfte galt hier als „vornehm“, und das war eher eine soziale Kategorie als ein Verhaltensideal. Egal. „It‘s nice to be smart, but it‘s smarter to be nice.“

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DREI HEXEN.

Darf ich mal Ihren Shakespeare-Kenntnissen auf die Sprünge helfen? Womit beginnt das großartige Königsdrama MACBETH? Genau, mit drei Hexen, die den Helden beraten, so dass ihm Kriegsglück beschert sei und er König werde. Wir erinnern uns:
„First Witch: When shall we three meet again?
In thunder, lightning, or in rain?
Second Witch: When the hurly-burly's done,
When the battle's lost and won.
Third Witch: That will be ere the set of sun.
First Witch: Where the place?
Second Witch: Upon the heath.
Third Witch: There to meet with Macbeth.“

Ich denke gerade darüber nach, wie banal heutzutage die Königswahl stattfindet. Wie sucht sich das Volk seinen Führer? Schon das Wort wirft in meinem Vaterland einen bösen Schatten, seit wir den Ösi in die Lage brachten, die Welt ins Elend zu führen. Die Fliegenschiss-Problematik. Gehen wir es fröhlicher an und lauschen meinem Jugendfreund Herbert Grönemeyer:
„Gebt den Kindern das Kommando /
Sie berechnen nicht /
Was sie tun /
Die Welt gehört in Kinderhände /
Dem Trübsinn ein Ende /
Wir werden in Grund und Boden gelacht /
Kinder an die Macht.“

Das ist eine hübsche Idee, aber natürlich kein politisches Konzept. Das Mittelalter hat vom Philosophenkönig geschwärmt oder dem Dichterfürsten. Das ist das Rollenmodell, in dem gerade der Kinderbuchautor Habeck agiert. Er hat es mit dem kleinbürgerlichen Topos des Idealen Schwiegersohns verwässert, gibt diesen JFK für Arme aber ganz gut.

Robert bleibt aber ein Mann (er liest sich so), was gefährlich nahe am ALTEN WEISSEN MANN ist, dem Prototyp ordinärer Macht; das will ja niemand mehr. Wer je den Scholzomaten mit Gattin Ernst auf dem Potsdamer Wochenmarkt gesehen hat, eine Tüte mit Suppengrün hinter ihr hertragend, der weiß, dass auch die Bonsai-Ausgabe des Patriarchalischen keinen Sex-Appeal mehr hat. Olaf ist so geil wie seine Aktentasche. Auch Christian Lindner, inzwischen in Umständen, gewinnt kein Format. Nehmen wir all den Penisträgern das Privileg und kehren zum Matriarchat zurück. Der Feminismus führt uns raus aus der toxisch virilen Welt, Frauen an die Macht. Schwesterlichkeit ist die Tugend unserer Zeit.

Ich warte auf große Bilder von der Inauguration des wiedergewählten Donald T.  in Washington. Er hat als Vertreterinnen des alten Europa geladen: Giorgia Meloni, Marine Le Pen und Alice Weidel. Die drei treffen sich da. Bei Shakespeare heißen sie THE WEIRD SISTERS. Da ist was dran.

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DAS HAAR IN DER SUPPE.

Wer die Götter so gut wie Homer und ich kennt, weiß um ihre Eifersucht. Es gibt Spekulationen, dass eine bigotte Allianz zweier Narzissten auf dem Olymp von kurzer Dauer sein muss. Das ist „wishful thinking“ politischer Gegner oder sonstiger Neider. Insbesondere europäische Kritik ist hier von kleinbürgerlicher Gehässigkeit. Darauf sollte man nichts geben.

Man sollte zudem immer vorsichtig sein mit berichteten Ereignissen, die politisch einfach zu gut passen. Was dem Betrachter ganz klar von symbolischer Bedeutung scheint, könnte inszeniert sein. Insbesondere, wenn der Vorfall bis in die Details wie ein Gleichnis wirkt, kräuselt sich meine Stirn. Wenn das Exempel zu perfekt, könnte Propaganda im Spiel sein. Und gegen einen Terroranschlag, eine Bombe im Kofferraum, ist niemand geschützt. Das vorweg.

Vor einem Trump-Hotel in Las Vegas soll ein Pick-Up von Tesla, der berühmte Cybertruck, explodiert sein; der Fahrer tot, Passanten verletzt. Lassen wir mal offen, was wir von dieser Karre des legendären Elon Musk halten; das Gerät ist in Europa für den Straßenverkehr gar nicht zugelassen. Aber auch das ist nicht mein Punkt; ich selbst fahre einen Truck, eine „Doppelkabinenpritsche“, die vielen „car guys“ als Monster erscheint.

Zur Aufklärung der Explosion hat Elon Musk ohne Umschweife beigetragen, indem er umgehend mitteilt, dass die per Telematik übermittelten Fahrzeugdaten unauffällig seien. Kein Tesla-Problem. Die Polizei lobte zudem, dass sie die Videos vom Aufladen des Batterie-Trucks zur Verfügung gestellt bekommen hat. Hier ist mein Punkt. Bevor die Schüssel in die Luft flog, hatte sie alle Daten über sich bereits abgeliefert. Weil die Telematik das immer tut. Meine Daten gehören dem Hersteller des Autos, obwohl ich es erworben habe und meine, ein freier Bürger zu sein.

Wer einen Tesla kauft, fährt nicht anschließend sein Auto; man lässt ihn fahren und kontrolliert dabei im Kalifornischen den Hansel auf dem Fahrersitz wie ein Versuchskaninchen. Mir gefällt das Auto nicht besonders. Überhaupt nicht gefallen tut mir aber das Menschenbild des Musk-Autos vor dem Trumphotel in Las Vegas. Did I make myself clear?

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MUTMASSUNGEN ÜBER JAKOB.

Es gibt in Berlin diesen Verkäufer der Obdachlosenzeitung, der mir so vertraut ist, dass ich ihn nicht Penner nennen möchte. Nennen wir ihn also Jakob. Gestern hat die FAZ ein kleines Porträt über ihn geschrieben, einen veritablen Runterläufer auf der Eins im Feuilleton. Jakob steht Tag aus, Tag ein, bei Wind und Wetter an der Einmündung der 17. Juni in den Ernst-Reuter-Platz und bietet an der Ampel diskret seine Zeitung an. Wenn er bettelt, so mit Zurückhaltung und einiger Würde. Den Kreisverkehr anfahrend kramen wir immer nach einem Fünfeuroschein. Man gibt immer. Das ist der geringste Anstand des Flaneurs.

Die FAZ erhebt ihn nun zum Thema und schreibt: „Er steht nicht vorwurfsvoll da, nicht wie jene stummen Abgesandten der „Zeugen Jehovas“, die in Bahnhofshallen und vor Einkaufszentren warten, um den an ihnen vorbeihastenden Menschen mahnende Blicke zuzuwerfen. Nein, dieser Mann ist kein Mahner. Er ist ein Hüter. Ein heimlicher Hirte jener so gefährdeten Her- de von Großstadtbewohnern, die meinen es sich leisten zu können, ohne Zusammenhang zusammenzuleben und nach keinen Gemeinsamkeiten mehr zu suchen. Nervös sitzen sie in ihren Autos, schauen nicht nach rechts, nicht nach links, wischen auf ihren Displays herum, flirten mit Siri – und wissen nichts mehr von ihren „kranken Nachbarn“. Zitat der FAZ unterbrochen.

Das Blatt macht Jakob zum Mythos, einem Gott des seelenlosen Asphalts, einem Hüter der Gesichtslosen. Da ist mir doch irdischer zu Mute. Ich sorge mich, will aber nicht indiskret sein. Ob er eine kleine Wohnung hat, zumindest eine sichere Schlafstelle? Das wär mir wichtig. Und vielleicht noch aus ganz alten Tagen ein Konto, wo er die gesammelten Groschen sicher wüsste. Ich kenne seine Stimme nicht, da er tonlos dankt, aber mir stets in die Augen blickt. Als er neulich fehlte, waren wir irritiert; hoffentlich nichts Schlimmes; Covid vielleicht.

Weiß er, dass wir, seine Stammkunden, wenn man das so nennen kann, über ihn schreiben? Würde ihm das gefallen oder nur verstören? Mutmaßungen über Jakob. Ich sehe ihn in getragener Kleidung, aber nicht zerlumpt; man darf vermuten, dass er bessere Tage gesehen hat. Solche Wahrnehmungen sind für jeden gestört, der weiß, wer Jonathan Jeremia Peachum ist, Inhaber der Firma „Bettlers Freund“. Das Kafkaeske der Situation liegt darin, dass man sich immer nur für den Augenblick einer Rotphase an dieser Ampel sieht und dann schon ärgerliches Hupen der Meute weitertreibt.

Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal den Kreisverkehr ganz zu umrunden, vor der TU zu parken und Jakob mit einem Becher Kaffee aufzusuchen; vielleicht redet er mit mir. Wenn er denn Deutsch spricht. Jedenfalls kriegt er immer den Fünfer. Manchmal frage ich mich, ob er mich wiedererkennt und was er wohl von dem Kautz in der Limousine hält.