Logbuch
Warum ich nicht glaube, was ich lese
Journalismus ist angeblich eine Haltung. So sagen die Blasierten. Mag sein, aber mit notorischen Haltungsschäden. Eine professionelle Deformation nennen die Franzosen die Spuren, die ein Beruf in der Seele des Berufstätigen hinterlässt. Ich mache jetzt seit gut dreißig Jahren PR und habe tagaus, tagein mit Journalisten zu tun und schaue genau so lange jeden Morgen in die Zeitungen, heutzutage halbstündig ins Internet. Einer meiner angelegentlichen Weggefährten ist gerade 80 geworden, der großartige Felix Schmidt, einst Leiter eines öffentlich rechtlichen Senders, Kulturchef des Spiegel, dann Stern-Chefredakteur und schließlich unabhängiger TV-Produzent („Talk im Turm“).
Die FAZ hat einen lieblos heruntergeschmierten Einspalter zu seiner Ehrung gebracht; deshalb lege ich hier nach. Dieser neurasthenische Publizist ist immer in seinem notorischen Ekel vor seiner eigenen Branche größer gewesen als andere in ihrer blasierten Begeisterung. Mit Felix Schmidt und Peter Sloterdijk habe ich das „Philosophische Quartett“ ersonnen, eine der besten ZDF-Serien; natürlich mittlerweile eingestellt. Herr Schmidt war übrigens beim Stern, als die die lausig gefälschten Hitler-Tagebücher gekauft und publiziert haben. Was habe ich von diesem wunderbaren Mann gelernt? Skeptizismus. Ich glaube nicht, was ich lese, insbesondere wenn die Story zu gut ist.
Was ist eine zu gute Story? Nehmen wir ein Beispiel: Der Alte hat eine Geliebte, eine junge Chinesin, die in gebrochenem Englisch Tagebuch schreibt. Stellen Sie sich vor, Sie sind die Ehefrau oder die Tochter eines früheren Staatschefs und lesen das folgende über Ihren Gatten respektive Vater: „Oh shit, oh shit… whatever why, I‘m so, so missing Tony. Because he is so, so charming and his clothes are so good. He has such good body and he has really, really good legs, butt…And he is slim tall and good skin…blue eyes, which I love, love his eyes…“ Butt heißt übrigens Hintern. Die Rede ist von Tony Blair, dem ehemaligen Premierminister des Vereinigten Königreichs.
Der Tagebuchauszug soll von Wendi Deng stammen, der ehemaligen Ehefrau von Rupert Murdoch, einem der mächtigsten und sicher reichsten Verleger Amerikas, einem Weltenlenker. Der Altersunterschied zwischen den beiden nunmehr Geschiedenen liegt bei 38 Jahren; Rupi hat sie gefreit, als er 68 und Wendi 30 war. Dem Ungestüm ihrer Jugend sollen in der 14jährigen Ehe auch Affären mit dem englischen Regierungschef und einem Vorstand der Internetkrake Google zu verdanken sein. Blair habe sich heimlich auf der heimischen Farm eingefunden, als Rupi außer Haus war. Als Rupi dann die Gerüchte hörte, hat er das Personal befragt. Shit happens.
Gemein daran war, dass Blair seinen Wahlsieg in England, der ihn ins Amt gebracht hatte, angeblich dem Boulevardblatt The Sun verdankte, das Murdoch gehört. Ich erinnere mich noch an die Seite Eins nach dem Wahlsonntag. Es stand dort in typisch britischem Understatement: „The Sun won it!“ Nicht der Souverän, das Wahlvolk, hatte die Unterhauswahlen gewonnen, sondern, so die Schlagzeile, das Massenblatt. Demokratische Ordnungspolitik ist nicht die eigentliche Tugend der „tabloids“ in UK. Zudem war Tony Blair der Pate (englisch: „godfather“) eines der gemeinsamen Kinder von Rupi und Wendi. Da schlägt man doch nicht heimlich auf, um einen bei Mutti zu verstecken; ich bitte Sie.
Die Story stand in „Vanity Fair“ und wird nun von der „Welt am Sonntag“ fortgeschrieben. Ich glaube sie nicht. Die Story ist zu gut. Ich will nicht beckmessern, wie man das macht, mit einem Heer von Secret Service- Agenten im Schlepptau irgendwo einen heimlichen „One-Night-Stand“ abzuliefern. Ich will Ihr Auge nur auf ein Detail lenken. Die Multimillionärsgattin Wendi Deng soll, wie oben zu lesen, in Pidgin English angeblich in ihr Tagebuch gekritzelt haben, dass ihre erotische Präferenz unter anderen damit zusammenhänge, dass Sir Tony gute Kleidung trage.
Was immer die „desperate housewives“ dieser Gehaltsklasse in Silicon Valley antreibt, es ist nicht der Anzug des Auszuziehenden. Der Text hat eine implizite soziale Perspektive und stammt von einem Redaktionsproleten in der Fleet Street, ich wette. Hier schreibt Andy Cap aus Wolverhampton, der im Anorak zur Arbeit kommt, für die Essex-Girls, die sein Blatt kaufen. Wendi Deng war klüger als Bettina Wulff und hat das weder kommentiert noch sonst irgendwelche Fragen beantwortet. Fleet Street Smear, nennt man das in meinem Club.
Nun sitzt die englische Presse längst nicht mehr in der Fleet Street, sondern in den Docklands die Themse runter. Und man nennt das dichtende Prekariat in den Redaktionsstuben nicht ungestraft proletarisch. Aber, das war mein Punkt, ich glaube diese Geschichte nicht. Sie ist zu gut für das, was der Boulevard „gut“ nennt, weil wir, die Leser, das gut finden. Es ist unser schlechter Geschmack, der hier bedient wird. Wie bei Wulff. Kehren wir also vor der eigenen Tür. Das sei also zur Ehre des 80. Geburtstags von Felix Schmidt heute gesagt. Skepsis haben wir von ihm gelernt. Und die Achtung vor einem Beruf, der so oft deroutiert.
Quelle: starke-meinungen.de
Logbuch
Ohne Eier keine Feier: Osterbotschaft für die Grünen
Die Parteispitze der Grünen mag nicht so recht Opposition spielen, weil sie 2017 mit der Union eine Koalition bilden will. Da heißt es brav sein. Nur keinen Ärger mit Mutti. Mutti hat ein Elefantengedächtnis. Wenn das nicht klappen sollte, wollen die Ökos mit den Sozis an die Regierung. Da heißt es schön brav sein. Nur keinen Ärger mit Siggi. Siggi hat ein Elefantengedächtnis.
Und so agieren sie dann, die Herren SchemÖtz-die-mir und Toni Leisereiter. Es gibt kleinere Anmerkungen zur GroKo, aber moderat und detailverliebt. Nur keinen Zorn erregen. Wer mannhaftes Auftreten gegen die Regierung sehen will, muss auf die Linke warten. Und auch hier sind es Männlein. Ein Kampf der Titanen sollte es sein. Die Helden sind aber hohl.Ersatzbesetzung: Rumpelstilzchen.
Der Niedergang der Grünen erinnert an das Verschwinden der Liberalen als politischer Kraft. Die FDP marginalisierte sich zur Boy Group. Schon machen böse Satiren die Runde. Merkel habe einen Aufnahmeantrag in die SPD gestellt, den Gabriel zu genehmigen gedenke. Die beiden machen den Parteivorsitz dann zusammen.
Ich habe mit dem Blut-und-Boden-Teil der Grünen nie etwas anfangen können. Aber es gibt dort doch gestandene Männer, deren Biografie eine kommunistische Jugend in Westdeutschland ziert. Das waren jene Herrschaften, die zu beachtlichen Radikalitäten bereit waren, etwa der allgemeinen Volksbewaffnung. „Sieg im Volkskrieg“, dieser Imperativ stand in Bochum an der Mensa.
Ein Witzbold aus meinem Freundeskreis hat das damals übermalt. Dann las man dort: „Sieg im Volkstanz.“ Das war von prophetischer Qualität. Genau da sind sie heute angekommen. Und sie lauern hasenfüßig darauf, wieder an die Fleischtöpfe zu dürfen. Aber das Kalkül der Selbstkastration wird nicht aufgehen. Ohne Eier keine Feier.
Quelle: starke-meinungen.de
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Gähn-Nummer Europawahl: Kippen wir unbemerkt nach rechts?
Eines Tages wird Thilo Sarrazin an die Spitze der AfD treten, und keiner wird es merken. Da, wo früher Daniel Cohn-Bendit war und Joschka Fischer, da sind jetzt Gregor Gysi und Anton Hofreiter, zweimal Hans Wurst.Keine Opposition im Bundestag. Keine Opposition im Europawahlkampf. Es herrscht in der Politik eine Friedhofsruhe, die beklemmt. Ich habe Angst um Europa.
Ist der grüne Hofreiter ein kleiner Hanswurst? Über diesen führenden Politiker der Grünen kursiert im Netz ein Song, in dem er als ein solcher veralbert wird. Ursprünglich entstammt der Sketch wohl einem NDR-Programm; dort ist er aber von der Website verschwunden. Man darf vermuten, dass der bayrischeHans Wurst einen Anwalt eingeschaltet hat, der das dem Sender untersagt hat, weil es Schmähkritik ist. Mir war der nichtssagende Herr nur wegen seiner unsäglichen Frisur aufgefallen, die als Habitus dem Umfang seiner Taille nicht mehr entsprach. Aber an solchen adipösenBerufsjugendlichen ist die Grüne Partei nicht arm. Man riecht den Stall, aus dem die Tierchen stammen. So wie man den Ossis bei den Linken (vulgo: Zonen-Gysi) den DDR-Charme ansieht.
Was darf Satire? Der Höhepunkt der politischen Kultur in Großbritannien war für viele Bürger dieser edlen Demokratie eine Puppenshow namens Spitting Image, die wirklich verletzend und unverschämt war und die Grenzen des guten Geschmacks weit überschritt. Man hat auch das Körpersprachliche der Politiker gegen sie genutzt. Spott und Hohn nahmen Gestalt an über jene, die herrschen. Leicht vorstellbar, welche Puppen man aus der mit ihren Armen notorisch eine Vulva formendenKanzlerin machen könnte. Von dem englischen Komiker Rowan Atkinson stammt der Satz: „Das Recht zu verletzen steht über dem Recht, nicht verletzt zu werden.“ Wenn man das auf Religionen anwendet, die einen Ikonoklasmus kennen, geht die Post ab. Warum sage ich das hier mit dem geschraubten Begriff des Ikonoklasmus? Weil ich mir den Shitstorm auf facebook ersparen will.
Die Parteiführung der französischen Faschisten in der Front Nationale verbietet gerade ihren lokalen Kandidaten auf facebook Witze, die als politisch inkorrekt gelten. Man darf afrikastämmige Politiker nicht mehr mir Schimpansen vergleichen oder die Flagge des Staates Israel verbrennen lassen und darauf bestehen, kein Antisemit zu sein. Hier entsteht das Milieu, dessen rhetorische Ausbrüche dann mit dem Satz beginnen: „Man wird doch noch sagen dürfen…“ Es fragt sich, ob es besser wäre, wenn die Antisemiten sogenannte Judenwitze reißen dürften, weil man dann wenigstens wüsste, woran man ist. Auch in Sache „Frauen und andere Behinderte“ ist mir ein offenes Wort lieber als die verschmitzten Chauvinisten. Diese verklemmten Ressentiments gehen mir auf den Geist.
Die Tabuisierung faschistischer Alltagskultur wertet diese auf, nicht ab. Ich hasse diesen Stolz, den irgendwelche Subproleten empfinden, wenn sie sich ein Hakenkreuz haben tätowieren lassen. Die Glatzen sollen zeigen dürfen, wes Geistes Kind sie sind. Man wird den Völkermord an den Juden nicht ungeschehen machen, indem man heute den Verkauf von Hitlers Buch „Mein Kampf“ verbietet. Kürzlich fragte mich ein amerikanisches Fernsehteam auf dem Ku-Damm, ob ich es nicht furchtbar fände, dass historische Zeitungen aus der Weimarer Republik wieder als Reprints zu kaufen seien. Ich habe es nicht geschafft zu erklären, dass wir einen Faschismus nicht verhindern, indem wir Zeitungen verbieten und Quellen sperren. Die junge Journalistin wird mich als Steigbügelhalter abgebucht haben.
Womit ich bei Thilo Sarrazin bin. Ich werde über seine Bücher kein Wort verlieren. Ich will schildern, was ich sah. Ich habe den Herrn mit seiner Ehefrau auf einem Berliner Ball tanzen gesehen. Das war sehr eindrucksvoll, ein Erlebnis der dritten Art. Seine Bewegungen haben etwas so Mechanisches, dass man für eine Sekunde an einen Roboter glaubt. Das Paar ist korrekt, aber ärmlich gekleidet und versprüht so viel Lebensfreude wie eine Flasche Sagrotan. Und mit jeder Bewegung, den die freudlose Lehrerin mit dem freudlosen Senator vollführt, wandert der Blick beiderbettelnd über die Tanzfläche in die Gesichter der anderen, Anerkennung erheischend. Auch wir blicken zu Boden. Die Szene hat etwas vom Tanz der Vampire, in dem die Wiedergänger versuchen, sich im Spiegel zu erblicken.Bis heute habe ich den so typischen Geruch von billigem Rasierwasser und Mottenpulver in der Nase.
Natürlich gehört Sarrazin in die AfD. Er gehört an ihre Spitze. Die Alternative für Deutschland ist das Auffangbecken jener Ressentiment-Träger, denen der soziale Mut fehlt, sich über die „Juden in den Banken“und die „Affen unter den Asylsuchenden“ so zu äußern, wie es mal üblich war in diesem Land. Was man dazu gelernt hat, ist, dass man im Zeitalter des Kosmopolitischen nicht mehr ausländerfeindlich ist, sondern nur noch europaskeptisch. Das eingangs gepriesene England hat mittlerweile eine offen faschistische Partei, die United Kingdom IndependenceParty (UKIP) des Nigel Farage. Er darf in TV-Debatten sagen, dass er der gesamten politischen Klasse misstraut und einen Aufstand der Straße gegen das Establishment haben will. Und von den Flamen in Belgien hört man, dass sie gerne die Wallonen an Frankreich verkaufen und den Anschluss an Holland wollen, eine Lösung Krim also. Warum auch nicht?
Was hat das alles mit den kleinen Hanswurstis zu tun?Zunächst mal nichts. Die Grünen und die Linken sind keine rechten Parteien. Aber eine rechte Opposition sind sie auch nicht. Von ihnen wäre ein Beitrag zu Europa zu erwarten; da kommt aber nichts. Da aber nun jede Splittergruppe einziehen wird ins Europäische Parlament, sollte um Europa mit deftigen Argumenten gekämpft werden. Ich fordere eine Verwahrlosung der diplomatischen Sitten. Wir wollen eine Wahlkampf mit Hauen und Stechen sehen.
Quelle: starke-meinungen.de
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CHARISMA.
Wie die Verzauberung eines Hans Wurst zu einem charismatischen FÜHRER gelingen kann, ist ein großes Geheimnis. Aber wenn er dann den Heiligenschein hat, leuchtet er so hell, dass er blendet. Verblendet. Charismatische Führer sind immer VERFÜHRER. Bitter ist das Gegenteil: wenn aus der Heiligen wieder eine ganz normale Trulla wird. Ein Gesamtkunstwerk zerfällt in seine banalen Teile. Man schaut nicht mehr auf, sondern genau hin. So ging es AKK. Fast mitleiderregend. Albern gekleidet, unkonzentriert mit flatternden Blick vor einem leeren Parteitag. Tschö mit Öh. Und kein Wort, keine Silbe, keine Geste von Merkel, der kalten Machiavellistin. Der Ruf dahin. Aus Verehrung des Publikums wird Verachtung. VERLIERER verehrt man nicht. RUHM? Kein Ruhm. Gewogen und für zu leicht befunden wirft die Politik eine ausgepresste Schale auf den Müll. Ich fand AKK nie gut, jetzt aber dauert sie mich. ENTZAUBERUNG. Bitter.